Willkürlicher Auszug aus Camus‘ „Hochzeit des Lichts“

„Ich aber weiß hier und jetzt, dass ich nie nahe genug an die Dinge der Welt herankommen werde. Nackt muss ich sein und muss dann, mit allen Gerüchen der Erde behaftet, ins Meer tauchen, mich reinigen in seinen Salzwassern und auf meiner Haut die Umarmung von Meer und Erde empfinden, nach der beide so lange schon verlangen. Und dann der Schock im Wasser, das Steigen der dunkelkalten klebrigen Flut; das Untertauchen und das Sausen in den Ohren, die strömende Nase und der bittere Mund; das Schwimmen, die wasserglitzernden Arme, die sich auftauchend in der Sonne bräunen und mit einer Drehung aller Muskeln wieder eintauchen ins Meer; das über meinen Leib hinströmende Wasser; der schäumende Tumult, den meine Füße entfesseln – und der verschwundene Horizont. Zurückgekehrt an den Strand, werfe ich mich in den Sand, gebe mich der Erde hin, fühle aufs Neue das Gewicht meines Fleisches und meiner Knochen und wage, betäubt von der Sonne, in langen Pausen einen Blick nach meinen Armen, wo aus der tröpfelnden Nässe trockne Hautstellen auftauchen mit Salzstaub und blondem Haarflaum.

Hier begreife ich den höchsten Ruhm der Erde: das Recht zu unermesslicher Liebe. Es gibt nur diese eine, einzige Liebe in der Welt. Wer einen Frauenleib umarmt, presst auch ein Stück jener unbegreiflichen Freude an sich, die vom Himmel aufs Meer niederströmt. Wenn ich mich jetzt gleich in die Wermutbüsche werfe und ihr Duft meinen Körper durchdringt, so werde ich bewusst und gegen alle Vorurteile eine Wahrheit bekennen: die Wahrheit der Sonne, die auch die Wahrheit meines Todes sein wird. Spiele ich nicht und verspiele hier mein Leben – ein Leben, das nach heißen Kieseln schmeckt und sich betäubt an dem girrenden Branden des Meeres und dem Geschrill der Grillen, die jetzt zu singen beginnen. Die Brise ist frisch, der Himmel ist blau. Ich liebe dieses Leben von ganzem Herzen und will frei von ihm reden: Ich danke ihm den Stolz, ein Mensch zu sein. Und doch hat man mich oft genug gefragt, worauf ich denn so stolz sei. Worauf? Auf diese Sonne und dieses Meer, auf mein von Jugend überströmendes Herz, auf meinen salzigen Leib und diese unermessliche Pracht aus Glanz und Glück, aus Gelb und Blau. Ich muss all meine Kräfte aufbieten, um dieser Fülle standzuhalten. Alles hier lässt mich gelten, wie ich bin; ich gebe nichts von mir auf und brauche keine Maske: Es genügt mir, dass ich, geduldig wie eine schwierige Wissenschaft, die so viel wichtiger ist als all die Lebenskunst der andern, lerne: zu leben.“

Auszug aus: Camus, Albert. „Hochzeit des Lichts.“ – 1. Teil: „Hochzeit in Tipasa“

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Ein Kommentar

  1. ralphbuttler

    Hat dies auf Blütensthaub rebloggt.

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