Mein Stuhl dreht sich. Und ich mich mit ihm. Einmal. Nochmal. Und nochmal. Wieder und wieder und… moment. Jetzt ist mir schlecht. Ich blicke auf meinen Schreibtisch. Stifte, ein halbvoller Aschenbecher, Farbdosen, Kaffeetasse, Monitor, Boxen, Kabel und leere Plastikpackungen portionierter Süßigkeiten. Nichts, was meiner Aufmerksamkeit tatsächlich wert wäre. Aber wo der Aschenbecher ja schonmal hier steht… Ich sehe mich weiter um. In meinem Zimmer, dem Ort meines selbstauferlegten Freiheitsentzuges, dem Ort, der daran schuld ist, dass ich nicht nur nicht weiss, welcher Wochentag heute ist, sondern auch den Monat nicht benennen kann. Spätwinter … möglicherweise Februar. Vielleicht auch ein kalter März. April … nein. Anfang März schätze ich und gebe mich damit zufrieden. Wenn sich-zufrieden-geben ein Job wäre… ach ja. Während ich mich erneut und rauchenderweise in meinem Stuhl drehe, sinniere ich darüber, was ich die letzten Wochen eigentlich so getan habe. Alle Aktivitäten zähle ich auf. Aufstehen, Kaffee trinken, Essen, Duschen, Klo, Filme sehen, Lesen, Sex, ab und zu Feiern, Trinken, Trippen. Und schon wieder! Nichts, was meiner Aufmerksamkeit wert wäre. Sicher, die Leute, die ich treffe sind die Zeit allemal wert, aber wie oft führt man schon die richtig produktiven Gespräche? Meist trifft man sich ja nur, um Probleme zu besprechen, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, Drogen zu diskutieren oder sonstigen geistigen, nicht recycelbaren Atommüll zu produzieren, immer in der Hoffnung, mal wieder so ein richtig gutes Gespräch führen zu können. Ich mein, warum redet man eigentlich nie über die interessanten Themen? Klar, wir haben alle Probleme, die so welterschütternd sind, dass wir sie der Welt mitteilen müssen: Probleme mit der Freundin, mein Ex ist wieder da, mein Kollege ist ein Arschloch, Kevin wäscht nie ab, Mark ist verantwortungslos, Patrizia hat sich seit Wochen nicht gemeldet, soll ich mit Moritz schlafen, ich nehm zu viel Emma, Obama hat den schwedischen Comedypreis gewonnen, meine Oma ist gestorben, Alex züchtet Flughörnchen, Samantha hat mich mit nem Roboter betrogen, Friedhelm testet Atomraketen, Sarah klont meine Ziege, Maik handelt mit verbotenen Chemikalien blablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablabla warum reden wir nie über unsere Pläne, die Welt zu verändern? Warum fragt mich niemand nach meinen Kunstprojekten? Warum frage ich niemanden nach seinen Musikstücken? Wer schreibt ein Buch? Wer erzählt mir voller Leidenschaft von seinem Traum, Molekularbiologe zu werden? Warum kenne ich niemanden, der mich ständig damit nervt, die Tiere retten zu wollen? Wer bricht nachts mit mir in leerstehende Häuser ein, um dort zu picknicken oder eine Versammlung zu halten? Mit wem zünde ich überall in der Stadt Knallfrösche? Wer pflückt Blumen mit mir? Wann fragt mich jemand, ob wir nicht zusammen Salsa tanzen lernen wollen? Wer erzählt mir vom schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter und wie gern er es lösen würde? Wer reitet von Brüssel hierher, nur, um mich zu sehen? Wer ruft mich an, wenn er verzweifelt ist und bittet mich um Hilfe, ganz ohne Angst? Wer klingelt früh um 4 bei mir und fragt mich, ob ich noch Schokoladenkuchen habe? Warum versucht niemand, mit mir im Sommer Eislaufen zu gehen? Warum jagt niemand mit mir Enten nur so, zum Spaß? Wer nimmt mich mit zu Diskussionen, und findet es witzig, sich zusammen mit den Fundamentalisten anzulegen? Wer prügelt sich mit mir wie in der vierten Klasse? Wer sitzt mit mir auf Dächern und schaut der Stadt von oben zu? Wer klaut mit mir Schokolade aus dem Supermarkt und lacht, wenn sie uns erwischen? Wer würde seinen Hals für mich riskieren und für wen würde ich das tun? Wen reisse ich aus dem Winterschlaf, der Melancholie und wer mich? Sind wir denn alle so kalt? Sind wir uns so egal? Sind wir so oberflächlich? So abgestumpft? … Ich sehe mich auf meinem Tisch um. Alles wie vorher. Kein rettender Engel, keine epische Musik, kein plötzlicher Sonnenschein. Stifte, Monitor, Plastikverpackungen. Scheinbar sind wir tatsächlich abgestumpft.
Naja, egal. Geh ich eben wieder ins Bett. Aber vorher ess ich noch was.
Der Hunger nach Leben lässt sich mit nichts füllen das du im Kühlschrank finden könntest ..
Das ist recht schön gesagt, ich musste sehr schmunzeln.
Aber ich gehe mal davon aus, dass weiß der Autor sogar selbst. :)
// FJZ / IchNicht